»Go whe­re the fear is!«

Ein Inter­view von Tan­ja C. Krain­hö­fer, die in der aktu­el­len Aus­ga­be der black box einen Arti­kel zu dem Panel »Reden über Film: Raus aus der Nische – Aus­wer­tungs­mo­del­le für den jun­gen Autoren­film« auf der Ber­li­na­le, mode­riert von Linus, publi­ziert hat. Im Gespräch mit ihr: die lei­ten­de Dozen­tin für Pro­duk­ti­on an der DFFB, Anna de Pao­li, und Regis­seur Linus de Pao­li.

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Mit ihrem Kol­lek­tiv »Schat­ten­kan­te« tra­gen sie gewag­tes Kino aus Deutsch­land in die Welt. Wenn’s sein muss, auch ohne För­de­rung und Sen­der­hil­fe: Ihr neu­er Film A YOUNG MAN WITH HIGH POTENTIAL läuft zur­zeit im Kino. Anna und Linus de Pao­li haben ihren aktu­el­len Kino­film an den übli­chen Struk­tu­ren vor­bei pro­du­ziert. Ein Gespräch über den Gen­re­film und das Inde­pen­dent-Fil­me­ma­chen in Deutsch­land über­haupt.

 

Euer stark mit Gore- und Thril­ler-Ele­men­ten arbei­ten­der Film A YOUNG MAN WITH HIGH POTENTIAL ist vori­ge Woche im Ver­leih von For­got­ten Film mit vier Kopien ange­lau­fen. Im Rah­men der Kino­tour wart ihr bei der ein oder ande­ren Vor­füh­rung dabei. Wie hat das Publi­kum auf die Geschich­te des genia­len wie eben­so ver­klemm­ten Infor­ma­tik-Nerds Piet und sei­nem pro­ble­ma­ti­schen Ver­hält­nis zu Frau­en reagiert?

Linus de Pao­li (LdP): Ich war fast über­rascht, wie gut der Film bis­her beim Publi­kum ankam. Es gibt zwar in der Regel bei jeder Vor­füh­rung ein paar »Wal­kouts«, wofür wir volls­tes Ver­ständ­nis haben – denn das Dar­ge­stell­te mutet dem Publi­kum eini­ges zu. Die bes­te Erfah­rung war, dass vie­le aber wie­der­keh­ren, um das Ende zu sehen, und dann trotz­dem über den Film spre­chen wol­len. Das ist auch genau das, was ich am Fil­me­ma­chen am span­nends­ten fin­de: den Dis­kurs.

 

Weni­ger begeis­tert haben sich Film­för­de­rung und TV-Sen­der für die­sen Stoff, so dass der Film als rei­ne Inde­pen­dent-Pro­duk­ti­on ent­stand. Wie erklärt ihr euch die­se Zurück­hal­tung, ins­be­son­de­re in Zei­ten, in denen düs­te­re Stof­fe bei Net­flix und Co. auf so viel Zuspruch sto­ßen – ins­be­son­de­re beim jün­ge­ren Publi­kum, das im Kino ver­misst wird?

LdP: Lei­der sind Sen­der und För­der­an­stal­ten nicht so auf­ge­schlos­sen und mutig wie sie sich ger­ne geben. Die Sys­te­me sind unfle­xi­bel und das Ver­ständ­nis dafür, was als kul­tu­rell gilt, ist beschränkt. Bei unse­rem letz­ten Film Der Samu­rai wur­de uns gesagt, der Film ent­spre­che nicht den »öffent­lich recht­li­chen Geschmacks­vor­ga­ben«. A YOUNG MAN WITH HIGH POTENTIAL war für das BKM »mora­lisch frag­wür­dig«. Ich fin­de es scha­de, dass hier­zu­lan­de das Zei­gen und The­ma­ti­sie­ren von Kon­tro­ver­sem oft mit deren Ver­herr­li­chung gleich­ge­setzt wird. Für mich fängt es erst da an inter­es­sant zu wer­den, wo es ambi­va­lent wird. Net­flix und ande­re Strea­ming­por­ta­le sind in den Punk­ten nicht unbe­dingt wei­ser – aber offe­ner.

 

Inde­pen­dent zu pro­du­zie­ren, heißt ja nicht nur maxi­ma­le Frei­heit beim Erzäh­len von Geschich­ten abseits des Main­streams, es bedeu­tet vor allem auch ein ernst­zu­neh­men­des finan­zi­el­les Risi­ko. Ihr hat­tet neben rück­ge­stell­ten Gagen, Sach­leis­tun­gen und unzäh­li­gen  Freund­schafts­prei­sen noch eine Cash-Belas­tung in Höhe von 160.000 Euro. Wie konn­tet ihr die­se Sum­me auf­brin­gen und mit wel­chen Ver­pflich­tun­gen ging die­se Form der Finan­zie­rung ein­her?

Anna de Pao­li (AdP): Nach­dem wir bei ver­schie­de­nen Pro­jek­ten qua­si allem denk­ba­ren Finan­zie­rungs­al­ter­na­ti­ven ein­mal ange­tes­tet haben, lässt sich fest­hal­ten: Jeder Euro stellt Bedin­gun­gen an die Pro­duk­ti­on, ganz gleich, wo er her­kommt. Unser Modell, die Kopro­duk­ti­on mit der Hahn Film AG, brach­te drei ent­schei­den­de Vor­tei­le: das Geld kam aus einer Quel­le, stand sofort zur Ver­fü­gung und ließ uns maxi­ma­le künst­le­ri­sche Frei­heit. Unse­re Kom­pe­tenz, mit gerin­gen Mit­teln hoch­wer­tig zu pro­du­zie­ren, gegen Bares: eine win-win-Situa­ti­on. Es stimmt aber, dass bei­de Sei­ten voll ins Risi­ko gehen müs­sen, und dass der Film ohne das Enga­ge­ment unse­res Teams, die alle für Min­dest­lohn gear­bei­tet haben, heu­te nicht exis­tie­ren wür­de.

 

Tini Tüll­mann, die Autorin, Regis­seu­rin, Pro­du­zen­tin des Psy­cho­thril­lers FREDDY/​EDDY muss­te für ihre Inde­pen­dent-Pro­duk­ti­on in etwa 75.000 Euro inves­tie­ren und konn­te gera­de ein­mal die Hälf­te über Kino, DVD und VoD natio­nal wie inter­na­tio­nal refi­nan­zie­ren. Wie schätzt ihr die Chan­cen ein, mit A YOUNG MAN WITH HIGH POTENTIAL den Break-even zu errei­chen oder sogar in die Gewinn­zo­ne zu gelan­gen?

AdP: Zum jet­zi­gen Zeit­punkt ste­cken wir noch mit­ten im Aus­wer­tungs­pro­zess. Unser Welt­ver­trieb Raven Ban­ner hat ein Best-Case‑, ein Mid-Case- und ein Worst-Case-Sze­na­rio vor­ge­legt. Letz­te­res wür­de uns bereits den Break-Even besche­ren. Daher sind wir vor­sich­tig opti­mis­tisch. Aktu­ell läuft unse­re Kino­tour, und wir sind über­wäl­tigt von den Reak­tio­nen des Publi­kums. So auf­merk­sam hin­ge­schaut und anschlie­ßend kon­tro­vers dis­ku­tiert wird ein­fach nur im Kino. Die Pres­se­be­richt­erstat­tung ist unse­rer Erfah­rung nach hilf­reich, um zu ver­mit­teln, wofür wir ste­hen. Ein­nah­men sind jedoch eher aus der dann fol­gen­den Blu-Ray-DVD-Aus­wer­tung zu erwar­ten. Bei unse­rem Ver­leih For­got­ten Film ist eine geschmacks­si­che­re »Fetisch Edi­ti­on« mit vie­len Extras zu erwar­ten. War­um wir nicht in den Abge­sang der phy­si­schen Medi­en ein­stim­men: Wer im zer­split­ter­ten Online-Markt nicht auf Dau­er-Schnit­zel­jagd gehen und diver­se par­al­le­le Abon­ne­ments unter­hal­ten möch­te, son­dern auch in Zukunft sei­ne Lieb­lings­fil­me jeder­zeit ver­füg­bar haben will, fährt mit dem Kauf einer BluRay/​DVD immer noch bes­ser – und tat­säch­lich bil­li­ger!

 

Vie­le Indie-Regis­seu­re und ‑Pro­du­zen­ten aus den letz­ten Jah­ren muss­ten ihre Fil­me wie KLAPPE COWBOY!  (Regie: Timo Jacobs, Ulf Beh­rens), FREDDY/​EDDY (Regie: Tini Tüll­mann) oder ÜBERALL WO WIR SIND (Regie: Vero­ni­ka Kase­rer) im Eigen­ver­leih ins Kino brin­gen. Euch ist es gelun­gen, sowohl Salz­ge­ber und For­got­ten Film für den Ver­leih Eurer Fil­me zu gewin­nen als auch Raven Ban­ner für den Welt­ver­trieb. Wie kam es dazu?

AdP: Ich habe Raven Ban­ner in Can­nes über­zeugt. Sie waren sofort begeis­tert, hat­ten jedoch Beden­ken, dass die Buy­er vor dem Film zurück­schre­cken könn­ten. Aber wie heißt es doch so schön: Der Weg ist, wo die Angst ist. »Go whe­re the fear is!« wur­de zur über­zeu­gen­den Ver­kaufs­for­mel unter ande­rem in Ame­ri­ka, Kana­da, Eng­land, wo die The­men unse­res Films gera­de beson­ders heiß dis­ku­tiert wer­den. Mit For­got­ten Film tei­len wir eine Lei­den­schaft für bestimm­te Fil­me und auch für Fes­ti­vals wie das Ter­za Visio­ne; das schafft Ver­trau­en. Wenn der­art pas­sio­nier­te Cineast*innen sich ent­schei­den, in unse­ren Film zu inves­tie­ren, ist das für uns immer noch ein beson­de­res Güte­sie­gel. Unse­ren ers­ten Film DR. KETEL haben wir übri­gens in Ber­lin mit­hil­fe des Kinos »Movie­men­to« gestar­tet, wo er mona­te­lang lief. Immer noch ver­bin­det uns eine frucht­ba­re Part­ner­schaft. Die Kino­tour in Deutsch­land hat­ten wir damals selbst orga­ni­siert. Dabei haben wir erfah­ren, von welch unschätz­ba­rem Wert der direk­te Kon­takt zu Kinobetreiber*innen ist, weil sie ihr Publi­kum wirk­lich gut ken­nen. Die­se Erfah­rung des par­ti­el­len Eigen­ver­leihs wol­len wir nicht mis­sen.

 

Eure Geschich­te spielt an einem pan­eu­ro­päi­schen Eli­te­cam­pus, wo sich ver­schie­de­ne Natio­na­li­tä­ten sam­meln, die mit­ein­an­der auf Eng­lisch kom­mu­ni­zie­ren. Ihr konn­tet dadurch auch Rol­len mit Schauspieler*innen aus unter­schied­li­chen Län­dern beset­zen. Waren dies auch Ent­schei­dun­gen im Hin­blick auf ver­bes­ser­te Ver­mark­tungs­chan­cen?

LdP: Nein, aber es ist zwei­fels­oh­ne ein posi­ti­ver Neben­ef­fekt, der uns bei Ver­käu­fen ins eng­lisch­spra­chi­ge Aus­land einen Vor­teil ver­schafft hat. Die Ent­schei­dung ist inhalt­lich moti­viert. In der Welt, in der wir uns bewe­gen, ist Eng­lisch als Wege­spra­che, gera­de im Inter­net, unaus­weich­lich. Ich woll­te es zuspit­zen: Die Euro­päi­sche Uni­on ist zusam­men­ge­wach­sen, von den ver­schie­de­nen Natio­na­li­tä­ten schei­nen nur noch Akzen­te geblie­ben zu sein. Ich sehe auch das ambi­va­lent. Einer­seits eine Uto­pie, in der wir uns in Euro­pa so nah sind wie nie – ande­rer­seits schützt uns auch die­se Öff­nung nicht vor Ver­ein­ze­lung. Und auch die­se Welt scheint irgend­wo eine har­te Außen­gren­ze zu haben.

 

Die Urauf­füh­rung war auf dem letzt­jäh­ri­gen Film­fest Mün­chen. Danach hat­te der Film einen beacht­li­chen inter­na­tio­na­len Fes­ti­val­run. Habt ihr eine stra­te­gi­sche Film­fes­ti­val­aus­wer­tung ver­folgt, die auch Teil des Refi­nan­zie­rungs­kon­zepts mit­tels Scree­ning Fees und Prei­sen ist?

AdP: Unser Vor­ge­hen in der Fes­ti­val­aus­wer­tung ist zwar stra­te­gisch, aber zugleich von unzäh­li­gen Unbe­kann­ten geprägt. Dass wir aus Mün­chen gleich einen der »För­der­prei­se Neu­es Deut­sches Kino« mit nach Hau­se neh­men konn­ten, hat eine super Ener­gie mit­ge­bracht und sicher­lich auch gehol­fen, dass der Film in Deutsch­land nicht in der Schmud­del­ecke gelan­det ist. Lang­sam sickert hof­fent­lich auch bei den beden­ken­trä­ge­ri­schen Insti­tu­tio­nen durch, dass ein Kino­film Fra­gen der Moral sehr wohl stel­len und unse­ren gesell­schaft­li­chen Dis­kurs her­aus­for­dern darf. Aber zurück zur Fra­ge: Ja, die Vor­führ­ge­büh­ren von Fes­ti­vals sind unse­rer Erfah­rung nach lang­fris­tig auch ein Bau­stein des Recoup­ments für Ver­leih und Ver­trieb – und tat­säch­lich auch für uns, da wir einen pro­du­zen­ti­schen Kor­ri­dor ver­han­deln konn­ten. Im Cir­cuit inter­na­tio­na­ler Fes­ti­vals für fan­tas­ti­sche Gen­res, in dem wir uns haupt­säch­lich bewe­gen, sind alle eng mit­ein­an­der ver­knüpft, und die Wahr­schein­lich­keit für fai­re Deals auf Augen­hö­he ist höher. Wir hof­fen, es kommt auch bald im Rest der Bran­che an, dass das Aus­blu­ten der Krea­ti­ven ein Ende haben muss.

 

Auf den letz­ten Münch­ner Medi­en­ta­gen haben Simon Amber­ger und Kor­bi­ni­an Dufter von die NEUESUPER die neu­en Play­er Ama­zon, Net­flix und Co. als eine unfass­ba­re Chan­ce beschrie­ben. Selbst wenn noch über 90 Pro­zent des aktu­el­len Pro­duk­ti­ons­vo­lu­mens nicht von den Platt­for­men initi­iert wird, übten sie einen enor­men Ein­fluss auf Stof­fe, Ästhe­tik und Erzähl­wei­sen aus und böten dabei ins­be­son­de­re auch der jun­gen Gene­ra­ti­on von Fil­me­ma­chern die Chan­ce, die fil­mi­sche Welt mit­zu­ge­stal­ten. Teilt ihr die­se Ein­schät­zung?

LdP: Ja und nein. Letzt­lich sind Strea­ming­diens­te eine wei­te­re Büh­ne für audio­vi­su­el­le Pro­duk­te, der ich ähn­lich ambi­va­lent gegen­über­ste­he wie dem Fern­se­hen. Für seri­el­le For­ma­te schei­nen sie sich als das Opti­mum durch­zu­set­zen, weil es den Konsument*innen genau das lie­fert, was sie wol­len. Und dar­in ste­cken tat­säch­lich unglaub­li­che Chan­cen. Auch was den Kino­film angeht, kön­nen die­se Diens­te zu Ermög­li­chern wer­den. Roma ist ein inter­es­san­tes Bei­spiel. Aber die Por­ta­le erset­zen das Kino­er­leb­nis nicht – und es ist noch abzu­war­ten, wel­chen Ein­fluss sie auf Ästhe­tik und Erzähl­wei­sen von Spiel­fil­men lang­fris­tig neh­men.

AdP: Aus pro­du­zen­ti­scher Per­spek­ti­ve ist lei­der auch nicht alles Gold, was glänzt: Die Bud­gets sind in Rela­ti­on zum erwünsch­ten Pro­duc­tion Value gering, das Con­trol­ling dafür umso auf­wen­di­ger. Krea­ti­ve wer­den lang­fris­tig gebun­den – und leis­ten hier ziem­li­che Akkord­ar­beit an ihren eige­nen Stof­fen und an Auf­trags­ar­bei­ten. Neue Chan­cen für den Kino­film der Kunst­frei­heit erge­ben sich dann, wenn nicht alle bloß dem Gold hin­ter­her­ren­nen, son­dern par­al­lel unab­hän­gi­ge und lang­le­bi­ge pro­du­zen­ti­sche Struk­tu­ren gestärkt wer­den.

 

Eine Rei­he von Indies haben in den ver­gan­ge­nen Jah­ren ins­be­son­de­re durch Aktio­nen wie das Ama­zon Fes­ti­val Stars Pro­gramm oder Net­flix’ Inter­es­se an Ber­lin-based Films von den neu­en Play­ern pro­fi­tie­ren kön­nen. Seht ihr hier auch lang­fris­tig erfolgs­ver­spre­chen­de Optio­nen, viel­leicht auch im Hin­blick auf den Con­tent-Hun­ger vie­ler wei­te­rer Platt­for­men wie in Deutsch­land Magen­ta und Max­do­me?

LdP: Da kann ich nur spe­ku­lie­ren: Ich ver­mu­te, dass die Kon­kur­renz der gro­ßen Play­er sich ver­schärft und es einen Krieg um Con­tent geben wird. Viel­leicht wer­den Spe­cial-Inte­rest-Con­tent und damit auch Nischen­fil­me zu einem ent­schei­den­den Fak­tor, wel­che Abos die Verbraucher*innen in Zukunft noch zah­len wol­len. Aber viel­leicht auch nicht. Ich könn­te mir auch vor­stel­len, das Self-Publi­shing popu­lä­rer wird und einen Weg kom­plett an den alten und neu­en Aus­wer­tungs­ket­ten vor­bei auf­zeigt. Gera­de unter Indie Filmemacher*innen spü­re ich einen wach­sen­den Unmut über die Intrans­pa­renz der Gro­ßen. Vie­le glau­ben auch, sie könn­ten ihre eige­nen Fil­me sogar bes­ser bewer­ben und ver­trei­ben als eta­blier­te Ver­lei­her und Ver­trie­be, die dem Zeit­geist hin­ter­her­he­cheln.

 

In den letz­ten Jah­ren begeg­nen uns auch unab­hän­gig von Abschluss­fil­men an Film­hoch­schu­len immer mehr Indies in Deutsch­land. Ent­wi­ckelt sich hier gera­de eine deut­sche Indie-Sze­ne, die sich auch neben der bestehen­den Film­wirt­schaft lang­fris­tig eta­blie­ren könn­te?

LdP: Es ist, bei allem Geme­cker, heu­te natür­lich leich­ter und bil­li­ger, einen Film auf die Bei­ne zu stel­len als zur Zeit von Zel­lu­loid. Und das ist toll! Aller­dings heißt Indie­film auch immer Selbst­aus­beu­tung und Risi­ko. Ein paar Pro­jek­te lang geht das gut, aber um sich lang­fris­tig zu eta­blie­ren, braucht man einen lan­gen Atem und irgend­wann auch etwas Klein­geld. Da kön­nen Privatinvestor*innen und Strea­ming­diens­te schon hilf­reich sein, was vor allem dann mög­lich ist, wenn die Stof­fe auch über den deut­schen Markt hin­aus wirt­schaft­lich attrak­tiv sind. Und dafür müss­te der deut­sche Indie­film auf­fäl­li­ger und zwin­gen­der sein. Ich tue mein Bes­tes.

 

Der Wunsch nach Film­kul­tur und Film-Viel­falt in Deutsch­land ist par­al­lel auch eine zen­tra­le For­de­rung von einer Rei­he gegen­wär­ti­ger Bewe­gun­gen wie den Frank­fur­ter Posi­tio­nen zur Zukunft des Deut­schen Films und dem kürz­lich gegrün­de­ten Haupt­ver­band Cine­phi­lie. Wel­che Instru­men­te oder Maß­nah­men wür­de es aus eurer Sicht bedür­fen, um die­ses Ziel zu errei­chen?

AdP: Das Aller­wich­tigs­te ist, dass der Wunsch nach Ver­än­de­rung die Angst vor Ver­än­de­rung besiegt. Wie oft haben wir im letz­ten Jahr lei­den­schaft­li­chen Dis­kus­sio­nen bei­gewohnt, bei denen sich alle einig waren, bis dann eine »höhe­re Instanz« wie der eige­ne Ver­band, die »Redak­ti­on des Ver­trau­ens« oder ande­re »besorg­te Kolleg*innen« inter­ve­nier­ten, sodass sich Film­schaf­fen­de aus Angst um ihre beruf­li­che Exis­tenz von ihren Posi­tio­nen zurück­ge­zo­gen haben. Den Kopf in den Sand zu ste­cken, ist jedoch kei­ne Alter­na­ti­ve für uns. Die »Frank­fur­ter Posi­tio­nen« geben ja schon sehr kon­kre­te Hin­wei­se auf mög­li­che Maß­nah­men. »Damit ist alles gesagt«, äußer­te sich Jea­ni­ne Meer­ap­fel, Prä­si­den­tin der Aka­de­mie der Küns­te, bei dem Panel »Kul­tu­rel­le Film­för­de­rung jetzt!« am 5. Febru­ar 2019. Kon­kre­te Schrit­te in die­se Rich­tung zu pla­nen, ist nach einem Jahr der Bekannt­ma­chung und Dis­kus­si­on der The­sen nun das gro­ße Ziel, das beim Lich­ter Film­fest 2019, aber auch bei der ers­ten Sit­zung vom Haupt­ver­band Cine­phi­lie im Schul­ter­schluss mit Pro Quo­te Film, den Fes­ti­val­pro­gramm­ern und vie­len ande­ren vor­an­ge­trie­ben wird. Ostern wis­sen wir mehr.

 

Es zeigt sich, dass Indie-Pro­duk­tio­nen gera­de im Bereich der Aus­wer­tung oft an ihre Gren­zen sto­ßen. Seht ihr hier mög­li­che Model­le, wie klei­ne­re Pro­duk­tio­nen dabei unter­stützt wer­den könn­ten?

AdP: Das ist ein wei­tes Feld! Die Ent­kopp­lung von Pro­duk­ti­ons- und Ver­leih­för­de­rung ist ein Punkt der »Frank­fur­ter Posi­tio­nen«. Aller­dings scheu­en den admi­nis­tra­ti­ven Auf­wand der Abwick­lung von För­der­gel­dern sogar man­che eta­blier­ten Ver­leih-Fir­men, wes­we­gen zugleich eine Ent­schla­ckung der Regu­la­ri­en von­nö­ten ist, damit Indie-Pro­duk­tio­nen das über­haupt leis­ten kön­nen. Ein wei­te­rer Punkt ist, dass es teu­er ist, die aktu­el­len Aus­wer­tungs­fens­ter mar­ke­ting-tech­nisch zu bespie­len. Vom eige­nen Nut­zungs­ver­hal­ten aus­ge­hend, glau­ben wir, dass die Fil­me davon pro­fi­tie­ren, wenn Inter­es­sier­te sie sofort, also par­al­lel zum Kino­start, anschau­en und dar­über spre­chen kön­nen, so dass ein klei­ner oder auch grö­ße­rer Buzz ent­ste­hen kann. Hier lie­gen noch unge­nutz­te Poten­zia­le in Form von Syn­er­gie-Effek­ten, die auch das Kino wie­der neu beflü­geln könn­ten. Was fällt uns noch ein? Ver­trieb durch Fes­ti­vals, die klei­ne Fil­me in einer eige­nen Edi­ti­on prä­sen­tie­ren. Markt-Teil­nah­men müs­sen erschwing­li­cher wer­den! In die­sem Zusam­men­hang sind wir und ande­re dabei, welt­weit Netz­wer­ke zwi­schen Indie-Film­schaf­fen­den zu knüp­fen, die mitt­ler­wei­le (auf­grund der gan­zen hart gesam­mel­ten Erfah­run­gen) auch Exper­ti­se im Ver­trieb haben und sich gegen­sei­tig unter­stüt­zen kön­nen. Gemein­sam sind wir stark.

 

Ihr seid Eltern von bald drei Kin­dern, wür­det ihr mir ver­ra­ten, wie man sei­ne Kin­der von Rück­stel­lun­gen ernährt?

LdP: Gar nicht. Wir haben bei­de ande­re Tätig­kei­ten, die die Mie­te zah­len und uns absi­chern, so dass wir uns alle paar Jah­re mal ein Wunsch­pro­jekt »leis­ten« kön­nen. Anna arbei­tet als lei­ten­de Dozen­tin für Pro­duk­ti­on an der DFFB, und ich arbei­te als frei­schaf­fen­der Kom­po­nist und für die Per­spek­ti­ve Deut­sches Kino bei der Ber­li­na­le. In der Sze­ne wer­den wir des­halb auch gern mal als »Boutique«-Filmschaffende bezeich­net. Wir neh­men das als Kom­pli­ment, denn wenn bei uns die Kame­ra auf­ge­stellt wird, dann wirk­lich nur, wenn wir einen unbe­ding­ten unbe­ding­ten Drang emp­fin­den, etwas Beson­de­res zu kre­ieren und aus­zu­stel­len. Um Anna zu zitie­ren: Audio­vi­su­el­len Schrott gibt es genug, zu dem Berg müs­sen wir nicht auch noch bei­tra­gen. Seid Ihr zwei ein fes­tes Regie-Pro­du­zen­ten-Duo?

AdP: Auf jeden Fall. Wir haben uns an der DFFB ken­nen­ge­lernt, wo Linus Regie und ich Pro­duk­ti­on stu­diert habe. Wir arbei­ten seit 2005 im Kol­lek­tiv Schat­ten­kan­te zusam­men, aus dem schnell unse­re Pro­duk­ti­ons­fir­ma her­vor­ging. A YOUNG MAN WITH HIGH ist unser drit­ter Spiel­film und Linus’ zwei­te Regie­ar­beit.

 

Wie geht es wei­ter mit Euch bei­den? Was habt Ihr als nächs­tes vor?

LdP: Im Mai wer­den wir zum drit­ten Mal Eltern. Neben­bei ent­wick­le ich gera­de zwei Stof­fe. Einer davon ein Body­hor­ror­film namens Krus­te. Der ande­re eine Loser­bal­la­de in Gestalt einer Komö­die mit dem Arbeits­ti­tel FLOROW.

AdP: Von dem Preis­geld aus Mün­chen haben wir außer­dem die Initia­ti­ve »Film macht Schu­le« ins Leben geru­fen, die Begeg­nun­gen zwi­schen Film­schaf­fen­den und Kin­dern und Jugend­li­chen bei frei kon­zi­pier­ten Work­shops ermög­licht und den Fun­ken der Cine­phi­lie auf die nächs­te Gene­ra­ti­on über­sprin­gen lässt.